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    • Felix Saltens Presseausweis für das Jahr 1933 / Wienbibliothek im Rathaus
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    Der Mann, der Bambis Mutter erschoss

    Zwischen 1900 und 1990 geborene Amerikanerinnen und Amerikaner wissen, wo sie waren, als sie vom Tod von Bambis Mutter erfuhren.

    71 quälende Sekunden – gefühlte Stunden – zwischen Hoffnung und Verzweiflung vergehen, bis Bambis Vater in tiefer, ruhiger, sonorer Stimme bestätigt, was man seit dem Fallen des Schusses befürchtete, ahnte und eigentlich wusste: „Your mother can’t be with you anymore …“

    Ein gemeinschaftliches Trauma, das seit 1943 drei Generationen und zahlreiche Menschen auf der ganzen Welt auf der Leinwand und im Fernsehen verfolgt.

    Ein Moment im Leben von Millionen Menschen, in dem die Welt Bambis ihre kindliche Unschuld verliert – zum allerletzten Mal sieht man Bambi als Kind – und die oft grausame Welt der Erwachsenen sie willkommen heißt: eine Initiationszeremonie im medialen Zeitalter.

    Kaum jemand weiß allerdings, dass Bambis Romanvorbild ein österreichisches Reh (eigentlich ein Hirsch) aus den Donau-Auen bei Stockerau, 20 Kilometer nördlich von Wien, war. Dessen Leben wurde in der „Lebensgeschichte aus dem Walde“ vom Wiener Felix Salten, der in diesen Auwäldern sein Jagdrevier hatte, verewigt.

    In Saltens Roman wurde seit dessen Erscheinen 1923 viel hineininterpretiert. Es wäre eine Parabel zum Massenmord des 1. Weltkriegs, gar eine verklausulierte Erotikgeschichte oder eben die Verurteilung des technikgläubigen Menschen, der das natürliche Gleichgewicht zerstört, indem er den Wald in Beschlag nimmt.
    Und so wäre er bereits vor 100 Jahren ein Frühwarner gewesen, um die Zerstörung der Erde durch die Menschen zu verhindern; ein geistiger Vorfahre von Greta Thunberg.

    Felix Salten hat sich auf seinen langen Spaziergängen durch sein Jagdrevier in der Stockerauer Au bei Zögersdorf und in der Nachbarschaft seines Hauses im gutbürgerlichen Wiener Cottageviertel mit seinem Blick auf die damals noch unendlichen Weiten des Wienerwalds inspirieren lassen.

    Es scheint daher, dass Felix Salten einfach aufzeichnete und in seinem unverklärten Realismus eines gelernten Journalisten wiedergab, was er während seiner stundenlangen Spaziergänge und beim Warten auf der Pirsch in den Donau-Auen gesehen, erlebt und im Dickicht vermutet hatte.
    Eine Art Kriegsberichterstatter des ewigen Überlebenskampfes der Arten.

    Ich wollte meine Leser von dem Irrtum befreien, die Natur sei ein sonniges Paradies.

    Felix Salten vermutlich in seinem Landhaus in Pötzleinsdorf / Wienbibliothek im Rathaus
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    Felix Salten

    Eigentlich das Gegenteil dessen, was Disneys Team später aus und um Bambi herum zeichnete. Schlimmer noch! Laut Felix Saltens eigenen Angaben kann es sogar sein, dass er im echten Leben der Jäger war, der Bambis Mutter erlegte!

    „Bambi wäre niemals entstanden, hätte ich nicht meine Kugel auf das Haupt eines Rehbocks oder Elches gefeuert“, räumte Salten offen ein und bekannte später unverblümt, er habe wohl zahlreiche Eltern von Bambis im Laufe seines Lebens erlegt.

    Orte, an denen Bambis Nachfahren leben

    Das Cottageviertel in Wien

    100 Jahre nach dem Erscheinen des Romans ist das Wiener Cottage – das der Wiener fälschlicherweise französisch mit der Betonung auf dem Ä in die Länge zieht: „das Gottäääsch“ also – noch immer ein verschlafener Stadtteil inmitten zweier nobler Vorortbezirke. Die Villen sind die teuersten Wiens geworden, die Botschaftsresidenzen und noch immer zahlreiche Künstlerinnen und Künstler beherbergen.

    Die Zeit scheint seit damals stillgestanden zu sein, wenn man – ausgehend von Saltens Villa in der Cottagegasse 37 – durch die Gassen flaniert, durch den Türkenschanzpark spaziert und im von Otto Wagner erbauten „Salettl“ – Wienerisch für Pavillon – auf einen Kaffee einkehrt, um den Ausblick auf den Wienerwald zu genießen.

    Beinahe könnte man glauben, dass Bambi aus den Büschen des Türkenschanzparks springt.

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    Türkenschanzpark
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    Nationalpark Donau-Auen / Nationalpark Donau-Auen
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    Stockerauer Au

    Tatsächlich springen Bambis Nachkommen einem noch heute in der Stockerauer Au, in der Salten sein Jagdrevier besaß, entgegen. Die Aulandschaft ist unberührt geblieben und hat sich in den vergangenen 100 Jahren nicht verändert. Fauna und Flora konnten sich frei entfalten, die Donauarme ihren Lauf nehmen.

    Die Natur ist vom Menschen nicht zerstört worden, wovor uns Salten in „Bambi“ scheinbar warnen wollte.
    Ein Stück unberührter und unverklärter „heiler“ Natur, 20 Fahrtminuten von Wien entfernt.

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    Naturfreunde sind in Wahrheit Naturfremde. Sie haben keine Ahnung von der täglichen Gewalt in der Wildnis.

    Felix Salten vermutlich in seinem Landhaus in Pötzleinsdorf / Wienbibliothek im Rathaus
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    Felix Salten

    Auf den Spuren von Bambi

    Cottageviertel und Stockerauer Au - Die magischen Orte entdecken

    Wenn die Duschszene in Psycho der Schocker der sechziger Jahre gewesen ist, und für mich ist das so, dann war das Äquivalent der gesamten vierziger Jahre die Szene, als Bambis Mutter stirbt. Und dann der Satz: ,Der Mensch hat den Wald betreten‘.

    Natinalpark Donau Auen, Auwald / Nationalpark Donau-Auen
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    Script-Doctor William Goldman
    • Wenn überhaupt, so verbindet man heutzutage mit Felix Salten gerade mal einen seiner Romane, dessen Verfilmung ein Welterfolg wurde – und das, obwohl er europaweit zu einem der bekanntesten Journalisten und Theaterkritiker seiner Zeit gehörte.

      Er gestaltete entscheidend das Literatur-, Theater- und Filmleben der Wiener Moderne mit, ohne jemals dafür den langfristigen finanziellen sowie moralischen Erfolg wie seine Wegbegleiter einzuheimsen.

      Auch ist uns aus seiner Kindheit und Jugend wenig bekannt. Wir wissen, dass der 1869 in Budapest geborene Sigmund Salzmann (zu Felix Salten wurde er erst 1911 mit 42 Jahren) mit 16 die Schule abbrach, um Versicherungen zu verkaufen.

      1890 taucht der 21-jährige Versicherungsmakler im Zirkel des „Jung-Wien“ im Café Griensteidl

    • auf, einer Literatenrunde, der unter anderem Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Stefan Zweig und Arthur Schnitzler angehörten.

      Mit Schnitzler verband ihn eine lebenslange Freundschaft und als Salten 1894 als Redakteur bei der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ begann, förderte er als Theaterkritiker Schnitzlers Debüt und Aufstieg.

      Die Freundschaft mit Karl Kraus endete 1896, als er diesen öffentlich ohrfeigte, weil Kraus Saltens Liaison mit Ottilie Metzl, die er wiederum später (1902) heiratete, öffentlich gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Salten mit der Mutter seines Kindes liiert, der Sozialdemokratin Lotte Glas, die er über Karl Kraus kennengelernt hatte.

      1902 heiraten Felix Salten und Ottilie Metzl. Die Trauzeugen waren die beiden Schriftsteller und Dramatiker Arthur Schnitzler und Siegfried Trebitsch.

    • Felix Salten scheint andauernd über seine Verhältnisse gelebt zu haben, vielleicht auch, um seinen Bekannten und Freunden zu imponieren. Aus dieser Geldnot heraus scheint er ein Getriebener gewesen zu sein, der deswegen viel veröffentlichte. Vor Ausbruch des 1. Weltkriegs schrieb er gleichzeitig für mehrere Zeitungen in Wien, Budapest und Berlin.

      Um 1900 wurde Salten als Tratsch- und Klatschreporter, der aufgrund seiner mondänen Kontakte über Skandale am Wiener Hof berichtete, weltberühmt. Trotz seines verruchten Jobs war er ein anerkannter Zeitgenosse, davon zeugen seine Korrespondenzen mit Größen wie Max Brod, Sigmund Freud, Egon Friedell, Gerhard Hauptmann, Heinrich und Thomas Mann, Robert Musil, Joseph Roth und Berta Zuckerkandl.

    • Wenn überhaupt, so verbindet man heutzutage mit Felix Salten gerade mal einen seiner Romane, dessen Verfilmung ein Welterfolg wurde – und das, obwohl er europaweit zu einem der bekanntesten Journalisten und Theaterkritiker seiner Zeit gehörte.

      Er gestaltete entscheidend das Literatur-, Theater- und Filmleben der Wiener Moderne mit, ohne jemals dafür den langfristigen finanziellen sowie moralischen Erfolg wie seine Wegbegleiter einzuheimsen.

      Auch ist uns aus seiner Kindheit und Jugend wenig bekannt. Wir wissen, dass der 1869 in Budapest geborene Sigmund Salzmann (zu Felix Salten wurde er erst 1911 mit 42 Jahren) mit 16 die Schule abbrach, um Versicherungen zu verkaufen.

      1890 taucht der 21-jährige Versicherungsmakler im Zirkel des „Jung-Wien“ im Café Griensteidl auf, einer Literatenrunde, der unter anderem Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Stefan Zweig und Arthur Schnitzler angehörten.

      Mit Schnitzler verband ihn eine lebenslange Freundschaft und als Salten 1894 als Redakteur bei der „Wiener Allgemeinen Zeitung“ begann, förderte er als Theaterkritiker Schnitzlers Debüt und Aufstieg.

      Die Freundschaft mit Karl Kraus endete 1896, als er diesen öffentlich ohrfeigte, weil Kraus Saltens Liaison mit Ottilie Metzl, die er wiederum später (1902) heiratete, öffentlich gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Salten mit der Mutter seines Kindes liiert, der Sozialdemokratin Lotte Glas, die er über Karl Kraus kennengelernt hatte.

      1902 heiraten Felix Salten und Ottilie Metzl. Die Trauzeugen waren die beiden Schriftsteller und Dramatiker Arthur Schnitzler und Siegfried Trebitsch.

      Felix Salten scheint andauernd über seine Verhältnisse gelebt zu haben, vielleicht auch, um seinen Bekannten und Freunden zu imponieren. Aus dieser Geldnot heraus scheint er ein Getriebener gewesen zu sein, der deswegen viel veröffentlichte. Vor Ausbruch des 1. Weltkriegs schrieb er gleichzeitig für mehrere Zeitungen in Wien, Budapest und Berlin.

      Um 1900 wurde Salten als Tratsch- und Klatschreporter, der aufgrund seiner mondänen Kontakte über Skandale am Wiener Hof berichtete, weltberühmt. Trotz seines verruchten Jobs war er ein anerkannter Zeitgenosse, davon zeugen seine Korrespondenzen mit Größen wie Max Brod, Sigmund Freud, Egon Friedell, Gerhard Hauptmann, Heinrich und Thomas Mann, Robert Musil, Joseph Roth und Berta Zuckerkandl.

    • Kulturerbebahn Semmering
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      Man traf sich auf Sommerfrische am Semmering und in Berta Zuckerkandls Salon.

    • Mit zahlreichen Wegbegleitern überwarf er sich später aufgrund seiner politischen nationalistischen Haltung. Zuerst akklamierte er den Ausbruch des 1. Weltkriegs – und verteidigte ihn fast bis zum bitteren Ende – und 1933 den Putsch des Austrofaschismus. Er wurde damals zum Präsidenten des Österreichischen P.E.N. Clubs ernannt und konnte nicht die Buchverbrennungen in Nazi-Deutschland verurteilen, weswegen er zurücktrat.

      In diesem Jahr verkaufte er auch die Filmrechte seines 1923 erschienen Romans „Bambi“.

      Früher als viele andere Zeitgenossen hatte er den Aufstieg des Mediums Film vorausgesehen und so schrieb er schon vor dem 1. Weltkrieg zahlreiche

    • Drehbücher, in den 1930ern auch eines gemeinsam mit Billy Wilder. Über ihn kam der Kontakt zu Walt Disney zustande, dem er die Filmrechte für nur 1.000 USD verkaufte, ohne Rechte auf Tantiemen, womit er wieder im Schatten eines anderen stand.

      Er emigrierte spät, aber doch 1939 in die Schweiz. Dort erschien noch im gleichen Jahr „Bambis Kinder“, sogar zuerst auf Englisch – die Fortsetzung erreichte jedoch nie den Erfolg des ersten „Bambi“-Romans.

      Salten verstarb 76-jährig im Oktober 1945 in Zürich, ohne jemals nach Wien zurückgekehrt zu sein.

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