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    • Almblumen Neukirchen am Großvenediger / Neukirchen am Großvenediger
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    Unterwegs in der weißen Stille

    Wer die Mühen des Aufstiegs auf den Großvenediger auf sich nimmt, wird mit überwältigenden Eindrücken eines der größten und faszinierendsten Gletschergebiete Österreichs belohnt. Unterwegs mit einem Bergführer, der den Gipfel bereits über tausendmal bestiegen hat.

    Der Blick auf das Mullwitzkees ist atemberaubend. Hinter der Steinlandschaft, die wir gerade noch durchquert haben, breitet sich ein Meer aus Schnee und Eis aus. Sanft ansteigend und in einen eleganten weißen Gipfel mündend, der Großvenediger. 3.657 Meter hoch – noch weit weg von uns, am scheinbar unerreichbaren Horizont.

    Steigeisen, Seil und Spalten

    • Es ist die größte zusammenhängende Gletscherfläche der Ostalpen, die vor uns liegt. Trotz des raschen Schwundes des „ewigen“ Eises in den letzten Jahrzehnten sind wir von der gewaltigen weißen Landschaft vor uns überwältigt. Um uns hier sicher zu bewegen, haben wir, eine Gruppe von fünf Leuten – von der Hobbywanderin bis zum Marathonläufer – noch am Vorabend vor der Hütte die wichtigsten Verhaltensweisen am Gletscher durchexerziert: den richtigen Abstand am Seil und dabei darauf zu achten, dieses immer straff zu halten. Auch den Umgang mit dem Pickel im Falle eines Sturzes haben wir gelernt. 

      Nun seilen wir uns an. Sigi Hatzer, unser Bergführer, ein Osttiroler Urgestein mit wettergegerbten Gesichtszügen, verteilt die Grödel – Steigeisen, die sich einfach über den Schuh ziehen lassen.

    • Jetzt, Mitte Juli, wenn die Sonne die oberste Schneeschicht auflockert, reichen diese Leichteisen gegenüber den großzackigen Steigeisen, die im blanken Eis zum Einsatz kommen.

      Der Übergang vom Fels auf den Gletscher hat etwas Magisches. Während der Fels noch unser Gleichgewichtsgefühl gefordert hat, vermittelt die angenehme harte Griffigkeit des Firns ein Gefühl von körperlicher Festigkeit. Es ist, also würden wir von den dutzenden Metern kompakten Eises unter uns förmlich getragen werden. Und dennoch liegen auch hier Gefahren – Gletscherspalten! Unser Bergführer Sigi kennt sie – und den Weg, der um sie herumführt. Dennoch weicht er nun vom mäßig ansteigenden Gletscherweg ab und führt uns zu einem Eisbruch, um uns die Gefahren, aber auch die Schönheiten dieser zerklüfteten Eiswelt näherzubringen.

    Schillerndes Gletschereis

    Augenblicklich sind wir in einer anderen, neuen Welt: Hier ragen meterhoch bizarre Eistürme auf, deren Abgründe mit ihrem schillernd türkis-blauen Gletschereis oft hunderte Meter tief reichen. Hier kann man sich wie im Himalaya fühlen. Oder auch wie in der Antarktis. Unglaubliche Weite. Maßlose Stille. Kein Vogel, kein Murmeltier verirrt sich mehr hier herauf. Was wir hören, sind unsere Schritte, unser Atmen, uns selbst. Fünf kleine Punkte in einer riesenhaften Landschaft. 

    Wir machen eine kurze Pause, es ist heiß geworden mitten im ewigen Eis. Gegen die starke UV-Strahlung schützen wir uns mit Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor. Wie mussten sich wohl die Erstbesteiger des Großvenediger in dieser weißen Wüste gefühlt haben? Von Ignaz von Kürsinger und nicht weniger als 40 Männern, die 1841 in diese unbekannte Welt aufbrachen, sagt man, dass sie sich Schießpulver ins Gesicht geschmiert hatten, um vor der Sonne geschützt zu sein. Ob’s geholfen hat, weiß man nicht. Ebenso ob es der Expedition zuträglich war, dass man als Getränk nur Wein mitführte. Vielleicht mit ein Grund, warum vierzehn der vierzig Teilnehmer auf dem Weg zum Gipfel aufgeben mussten ...

    Steinbock / Kaiser-Franz -Josefs-Höhe (Großglockner)
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    Warum erscheinen manche Gletscher blau?

    Dass einige Gletscher blau erscheinen hat denselben Grund, warum auch Wasser blau ist. Das weiße Sonnenlicht besteht eigentlich aus vielen Farben – gut zu sehen bei einem Regenbogen. Beim Wasser ist es so, dass es alle Farben des Lichts schluckt, außer der blauen. Je tiefer das Wasser, desto stärker der Effekt. Das kann man auch im Schwimmbad sehen – je mehr klares Wasser – je tiefer, desto stärker der Effekt.

    Der blaue Farbton bei Gletschern entsteht dadurch, dass das Rot aus dem Spektrum des Sonnenlichts vom Eis stärker absorbiert wird als die blauen. Sind im Gletschereis jedoch viele Luftbläschen eingeschlossen, wie es bei den meisten Alpengletschern der Fall ist, erscheinen sie weiß. Die Luftbläschen streuen das Licht nämlich stark. Die Lichtstrahlen werden abgelenkt und auch rasch wieder aus dem Gletscher hinausgleitet.

    Über tausend Mal am Gipfel

    Bergführer Sigi Hatzer
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    Wir aber sind frohgemut. Nach einer (nichtalkoholischen) Stärkung geht es über die nächste Geländestufe hinweg. Vor uns Sigi, der kraftvoll seinen zwei Meter langen Haselnussstock in den Schnee stößt. Mit dessen geschmiedeter Spitze sondiert er mögliche Spalten. Sollte es zu einem Sturz in eine Spalte kommen, dient dieser sogenannte Sporenstab zur Verankerung des Seils im Eis. Wie oft er schon auf dem Großvenediger war, fragen wir ihn. Das muss der Osttiroler Bergführer nicht lange nachdenken. 1053-mal, antwortet er trocken und erntet Erstaunen und ungläubige Blicke. Woher er das so genau weiß? Seit 40 Jahren führt er penibel ein Gipfelbuch. Begonnen hat alles, als er als 14-jähriger Bergbauernbub das erste Mal am Gipfel stand. Jetzt ist er Mitte 50 und hat als Bergführer schon tausende Gäste hier heraufgebracht – den Respekt, den schon seine Vorfahren vor dem Gletscher hatten, hat er dennoch bis heute nicht verloren. Denn Temperaturschwankungen, das ständig rinnende Schmelzwasser lassen immer neue Klüfte in dem gewaltigen Eisstrom entstehen, unvermutet, manchmal tückisch verdeckt vom Neuschnee. Wir denken daran, als wir mit dem nächsten großen Schritt einen der vielen schmalen Risse im Eis übersteigen. 

    • Der Gipfel, den wir nun schon einige Zeit aus den Augen verloren hatten, taucht nach Überwinden der letzten Geländestufe wieder auf. Zum Greifen nah – und uns anspornend, die letzten Höhenmeter zu überwinden. Ruhig, nur vom Säuseln des Windes begleitet, gehen wir über den Gipfelgrat, von dem steile Gletscherflanken abfallen.

    • Dann kommen wir auf dem breiten Gipfelplateau an, umarmen uns in stiller Freude über das Geschaffte und genießen die grandiose Aussicht auf die höchsten Gipfel der Hohen Tauern. Nicht die Müdigkeit, sondern die Ehrfurcht vor der Größe dieser weiten Landschaft hat uns schweigsam gemacht – wir sind angekommen, am Endpunkt der großen weißen Stille.

    Der Venediger-Höhenweg

    Wissenswertes rund um einen Gletscher

    • Gletschervermessung

      Seit mehr als 130 Jahren werden Österreichs Gletscher vermessen. Dabei soll herausgefunden werden, ob sie größer oder kleiner werden. „Immerhin reagieren sie massiv auf langfristige Witterungsveränderungen", sagt der Gletscherexperte Gerhard Lieb. Aus einzelnen Messungen kann nur wenig abgeleitet werden. Zu viele Faktoren nehmen auf die Längenänderungen eines Gletschers Einfluss – wie etwa Niederschlag und Durchschnittstemperaturen. Und natürlich: Der Klimawandel.

      Gletscher werden recht „einfach“ vermessen: „Man legt an fixen Stellen am Ende des Gletschers Marken an. Von diesen Marken aus misst man in einer definierten, immer gleichbleibenden Richtung zum Gletscher die Distanz. Wie mit einem Maßband." So einfach kann Wissenschaft sein, meint Lieb lachend.

      Es mag wohl der Erfolgsfaktor der Unternehmung sein, dass Liebs Team Jahr für Jahr im Spätsommer auf die Berge steigt, wenn die maximale Abschmelzung der Gletscher erfolgt ist – dann macht es sich mit Herzblut an die Vermessung. Dass das ehrenamtlich geschieht, hält auch die Kosten tief.

      Wie lange der Zustieg zu den Gletschern dauert, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab und davon, wieviel Material die Gletschermesserinnen und Gletschermesser mit sich bringen müssen. Werden Vermessungsinstrumente wie Theodolit und Reflektor, Stative und die Gletscherausrüstung benötigt, dann ist der Aufstieg deutlich beschwerlicher. „Für die Höhenmessung benötigen wir umfangreiches technisches Equipment. Daher werden diese Untersuchungen nur an wenigen Gletschern gemacht. Das sind in Österreich ungefähr zehn," sagt Lieb. Dank der zusätzlich 90 Gletscher in Österreich, bei denen jährlich eine Längenvermessungen stattfindet, erhalten die Expertinnen und Experten einen guten Überblick über die Situation.

      Oft stehen die Gletschervermesserinnen und Gletschervermesser vor Herausforderungen: „Die Frustration ist groß, wenn ich in den Bericht schreiben muss: Der Gletscher ist nicht erreichbar oder die Messpunkte konnten im Schnee nicht gefunden werden,“ erzählt Lieb. So führte ein Felssturz am Großglockner, dem höchsten Berg Österreichs, dazu, dass der Wanderweg für drei Jahre gesperrt werden musste. Die Umgehung dieses, für die Messungen auf der Pasterze essenziellen Nadelöhrs, kostete das Team jeweils einen Umweg von einem halben Tag.

    • Menschen und Gletscher

      Gletscher versorgen die Menschen mit vielen nützlichen Ressourcen. Gletscherschutt liefert fruchtbaren Boden für den Anbau von Nutzpflanzen. Ablagerungen von Sand und Kies werden zur Herstellung von Beton und Asphalt verwendet. Die wichtigste Ressource, die von Gletschern bereitgestellt wird, ist aber Süßwasser. Viele Flüsse werden durch das schmelzende Eis von Gletschern gespeist.

      Und sogar in der Wirtschaft haben Gletscher eine Bedeutung, wenn auch meist unter Marketingaspekten. Menschen verbinden Gletscherwasser mit einem sauberen, frischen Geschmack. Das liegt an seiner kühlen Temperatur. Dadurch, dass das Wasser so lange im Gletscher eingeschlossen war, glauben viele Menschen, dass es vor Schadstoffen besser geschützt wäre als anderes Wasser. Diese positive Assoziation nutzen Unternehmen für ihre „Gletscher-Produkte". Direkt mit der Nutzung als Gletscher-Wasser oder Gletscher-Eiswürfel. Oder indirekt, indem sie beispielsweise Genussmitteln wie Bier, Spirituosen oder Bonbons mit Gletschern verbinden. Unternehmen machen die Faszination der Gletscher aber auch erlebbar, indem sie uns mit Seilbahnen auf die Gletscher bringen, die Eisriesen und sogar Eishöhlen begehbar machen oder sie als Skigebiete nutzen.

    • Bedrohungen für Gletscher

      Das Schmelzen spielt die tragische Hauptrolle beim Rückgang von Gletschern. Das passiert, wenn das Eis schneller schmilzt, als sich Firn ansammeln kann. Entscheidend für eine Verlangsamung dieses aktuellen Tauprozesses wären vor allem kühle und niederschlagsreiche Sommer. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen für eine solche Klimaänderung aber keine Anzeichen. Die Durchschnittstemperatur der Erde steigt seit mehr als einem Jahrhundert stark an.

      Gletscher sind in mehrfacher Hinsicht wichtige Indikatoren für die globale Erwärmung und den Klimawandel. Die Auswirkungen der schmelzenden Gletscher in den Alpen und anderen Gebirgen und der Eisschilde in der Antarktis und Grönland sind massiv – und auch im Alpenraum deutlich spürbar.

      Einerseits verändert sich das Ökosystem in ehemaligen Gletschertälern, wo Pflanzen und Tieren das Wasser fehlt. Die steigenden Temperaturen lassen auch den dauerhaft gefrorenen Boden in den Alpen auftauen – er wird instabil. Berghütten, Skilifte und auch Wanderwege sind davon betroffen. Andererseits steigen die Wasserspiegel in Flüssen und Meeren an, weil sie das Schmelzwasser von den Gletschern aufnehmen müssen. Überschwemmungen oder Gerölllawinen können die dramatischen Folgen davon sein. Da Gletscher bedeutende Speicher für Trinkwasser sind – rund drei Viertel der weltweiten Süßwasserreserven sind gefrorenes Wasser – bringt das Schmelzen auf lange Sicht auch hier Gefahren.

      Mit unterschiedlichen Maßnahmen wird in den österreichischen Gletschergebieten versucht dem Schmelzprozess entgegenzuwirken. Das Abdecken mit Schutzfolien oder die Produktion von Schneedepots sind die gängigsten Methoden, die auf bewirtschafteten Gletschern eingesetzt werden. Aber auch sie können den Prozess im besten Fall nur verlangsamen.

    Martin Betz

    Martin Betz

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    Autor und Regisseur

    Martin Betz, geboren und aufgewachsen in der Steiermark, lebt und arbeitet in Wien. Zwischendurch sucht er aber gern das Weite, bevorzugt in den österreichischen Alpen. Dort ist mitunter auch eine Kamera dabei, denn der umtriebige Wanderer realisiert immer wieder Natur- und Alpin-Dokumentationen für verschiedene TV-Sender im deutschen Sprachraum.

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