Adalbert Stifter und Peter Rosegger: Literatur zwischen Schnee und Eis
Die Geschichten von Adalbert Stifter und Peter Rosegger erzählen von Menschen und deren Begegnungen mit dem Winter. Die Naturerscheinungen der kalten Jahreszeit und deren Wirken auf das Gemüt der Menschen waren Motive, denen sich die beiden Literaten widmeten.
Adalbert Stifters „Bergkristall“
Die Beschreibung der menschenabweisenden und zugleich faszinierenden Schnee- und Eislandschaften in den Alpen hat in der Erzählung „Bergkristall“ von Adalbert Stifter (1805-1868) ihr literarisches Meisterstück gefunden. Darin wird das Schicksal zweier Kinder erzählt, die sich bei dichtem Schneefall im Hochgebirge am Heiligen Abend verirren. Ihr Weg führt über den Gars, einen Schneeberg mit Eisspalten und Höhlen. Die beiden müssen die Christnacht unter freiem Himmel in Kälte und Angst verbringen, werden am nächsten Tag von den Dorfbewohnern gefunden und nachhause zurückgebracht.
Die Erzählung ist weit mehr als eine Weihnachtsgeschichte. Sie folgt in ihrer herausragenden Naturbeschreibung dem von Stifter postulierten „sanften Gesetz“, nach dem das Wirken der Natur über jenes des Menschen zu stellen sei, wo „das Große nicht wichtiger als das Kleine, das Gewalttätige nicht wichtiger als das Friedliche ist“.
Literarisches Vorbild Salzkammergut
Stifter wählt in seiner Erzählung zwei fiktive Orte, die durch ein Bergmassiv voneinander getrennt sind. Dieses müssen die beiden Geschwister Konrad und Sanna am Weihnachtsabend überwinden, um in ihr heimatliches Dorf zu gelangen. Unschwer ist zu erkennen, dass wohl Hallstatt und Gosau im oberösterreichischen Salzkammergut Stifter als Vorbild dienten.
Wer heute diese Orte am Fuße des Dachsteinmassivs im Winter aufsucht, wird Stifters archaische Naturbeschreibung in den bizarren Felsformationen wiedererkennen, an den „steilrechten Wänden, die mit einem angeflogenen weißen Reife bedeckt sind, und mit zartem Eise wie mit einem Firnis belegt …“. Die Wanderung der Kinder von der Großmutter zu den Eltern im gegenüberliegenden Tal wird zu einer schwindelerregenden Odyssee, führt im Schneetreiben hinauf in eine bedrohliche Eislandschaft, die Stifter als eine „einzige weiße Finsternis“ beschreibt.
Das Große geschieht so schlicht wie das Rieseln des Wassers, das Fließen der Luft, das Wachsen des Getreides.
Stifters Freundschaft mit Naturforscher Simony
Weihnachten in der Waldheimat
Mit den Augen des Kindes schildert auch Peter Rosegger (1843-1918) die Schönheiten, aber auch unwirtlichen Härten des Winters. Aufgewachsen auf einem Bergbauernhof in der Steiermark – der Dichter sollte ihn später seine „Waldheimat“ nennen, wurde er zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftsteller der Jahrhundertwende. Vor allem sein dreibändiger Erzählband „Als ich noch ein Waldbauernbub war“, erschienen zwischen 1900 und 1902, wurde zu einem wahren Bestseller.
Im Zeitalter der Industrialisierung stillte Rosegger die Sehnsucht nach authentischen Dorfgeschichten, die eine positive Gegenwelt zum hektischen Großstadttreiben darstellten. Das Genre des „Heimatromans“ war geboren. Dennoch wäre es verfehlt, Rosegger als literarischen Vertreter einer idyllisch verbrämten ländlichen Lebenswelt zu sehen. Er schrieb auch von Entbehrungen, von Armut sowie der drastischen Ungleichheit, die zwischen reichen Großgrundbesitzern und Bedürftigen herrschte.
Alles Große, das Menschen je geleistet haben, geht aus der Einsamkeit, aus der Vertiefung geistigen Schauens hervor.