Zwischen Bärlauch und Kunst-Feeling: Betrachtungen zum Wald
Margit Russnig, 59, ist Keramikkünstlerin, lebt und arbeitet seit vielen Jahren am Stadtrand Wiens in einem Haus, mitten im Wald. Entspricht ihr Arbeitsrhythmus dem Rhythmus der Natur? Welchen Einfluss hat der Wald auf ihre Arbeit? Und wie ist es, Wildschweine als Nachbarn zu haben?
Margit Russnig wohnt hinter den sieben Bergen. Mit Schneewittchen hat die Keramikkünstlerin aber wenig Ähnlichkeit. In bequemen Hosen und Arbeitsschuhen empfängt sie die Autorin in ihrem Atelier am Wiener Stadtrand im 14. Wiener Gemeindebezirk – dort, wo es besonders grün ist. Umgeben von allerlei wundersamen Figuren aus Porzellan, die sich fast ein wenig über ihre Betrachterin lustig zu machen scheinen:
Eisbärenköpfe mit Goldnasen, Könige in Hermelin, Flugschweine, aufgespießt auf dünnen Metallstäben und Fischmenschen im Schuppenkleid. Und dann sind da noch die Gartenzwerge, die spöttisch von ihren Podesten herabschmunzeln. Margit Russnig hat sie allesamt zwischen ihren Händen und im Brennofen zum Leben erweckt und ihnen Charaktere zuerkannt. Schelmisch sind sie allesamt, aber keineswegs als Karikaturen gedacht. Margit Russnig interessiert das Alltägliche. Und sie liebt die Natur, in und mit der sie lebt.
Die Natur, die mich dazu bringt, in Ruhe zu arbeiten, ist für mich wesentlich.
Vogelgezwitscher in 3D, der erste Kuckucksruf. Es ist Frühling. Die Jahreszeiten drängen sich an diesem Ort geradezu hautnah in alle Sinne. Diesen Wechsel liebt Margit am Leben in und mit der Natur besonders. Gibt es für sie einen Rhythmus in ihrem Schaffen, der sich dem Rhythmus der Jahreszeiten anpasst? Mitten in dieser zartgrünen Frühlingsexplosion zwischen Buchenblättern und dem duftenden Bärlauch ist Margits Begeisterung spürbar. Ihre Freude über die Jahreszeiten stumpfe nie ab, jede Phase habe ihre speziellen Empfindungen.
Die Künstlerin beobachtet seit Jahrzenten die Farbnuancen des Himmels, der ihr im wahrsten Sinn zu Füßen liegt, wenn sie vor die Haustür tritt. „Den Himmel nehme ich immer wahr. Wenn die Wolken ziehen, wie sich das Licht verändert, wenn ein Gewitter aufzieht …“ Bis in die Nacht hinein hängt sie manchmal dem Himmel und seinem Schauspiel an den Lippen.
Die Bäume stehen da, felsenfest, unverrückbar. Diese Stabilität wirkt beruhigend auf mich.
Die gedankliche Reise durch die Jahreszeiten im Wald geht weiter: Was ist die veränderte Wahrnehmung im Sommer? Margit überlegt kurz, ein Rabe kräht in die Stille, als wollte er die Antwort geben. „Wärme und Wasser, die Geräusche der Tiere, der Insekten, die Gerüche – das sind für mich die Elemente, die die warme Jahreszeit prägen.“
Sie schwärmt vom riesigen Rosmarinstrauch in ihrem Garten, der in seiner Blüte die Schmetterlinge und Bienen anzieht. Vom erdigen Geruch des Teichs. Manche würden die modrige Duftnote als unangenehm empfinden – Margit liebt Erdgerüche. Der Ton für ihre Keramik und der Teich riechen ähnlich. Erde, die sonnenwarm ist, Erde, auf die Sommerregen fällt. „Der Geruch nach feuchtem Waldboden ist ein unvergleichlicher Duft!“ Aber auch die Ruhe als Kostbarkeit in ihrem Leben, erwähnt Margit immer wieder. „Meine Arbeit braucht sehr viel Konzentration, es darf wenig Ablenkung passieren.“
„Das ist im Sommer an den Abenden gut möglich, wenn die Tätigkeiten der umliegenden Nachbarn in ihren Gärten verstummen. Das genieße ich sehr.“ Überhaupt will sie weder Musik noch Podcasts hören im Wald, „ich kann sonst die Natur nicht wahrnehmen.“ Das Leben in der Natur mache niemals … satt, niemals müde … Margit sucht nach dem passenden Adjektiv und meint damit, der Natur nie überdrüssig zu werden. Im Gegenteil: „Ich brauche immer mehr Natur, je älter ich werde.“
Dabei ist Margit Russnig keineswegs menschenscheu, die örtliche Nähe zur Kultur sei für sie unverzichtbar und besonders bereichernd. Ein Haus im Grünen in der Einschicht wäre keine Option, die Kombination von Natur und Kultur sei für sie der Idealzustand. Als Stadtkind hat sie den Wald spät kennengelernt. Um dem Traum als junge Frau, näher an der Natur zu sein, pachtete sie mit ihrem Mann schon früh ein Kleingartenhaus, das sie im Laufe der Zeit ausbauten, vor allem als dreimal Nachwuchs kam.
Das Leben in der Natur macht niemals satt, niemals müde. Ich brauche immer mehr Natur, je älter ich werde.
Kennt Margit die Abschiedswehmut nach dem Sommer? Oh, ja, die kenne sie gut. Aber in den letzten Jahren sei sie viel offener geworden, was das Festhalten an Jahreszeiten betrifft. Im Herbst „brennen“ die Blätter, wie Margit es nennt. Jedes Jahr im Herbst fotografiert sie die feurigen Laubfarben ihres Wilden Weins an der Hausmauer. Fotos, die sie schon „Hundertmal“ gemacht habe. Trotzdem überkommt sie jedes Jahr das Gefühl, sie müsse dieses Schauspiel von Neuem festhalten.
Während des Gehens fällt der Blick immer wieder in die Baumkronen der alten Buchen und Eichen. „Was hat dieser Wald das letzte Jahr geduldig alles aufnehmen müssen!“, sinniert Margit und spielt auf die Corona-Zeit an, in denen Menschen den Wald als Refugium entdeckten. „Der Wald hat so viele Gespräche abgekriegt, so viele Tränen, aber sicher auch reichlich Freude. Viele haben jetzt erst den Wald kennengelernt. So viele Menschen wie im Lockdown waren noch nie im Wald, das war auffallend. Ein schönes Bild: der tröstliche Wald und seine unendliche Geduld mit uns Menschen.“
Die Wanderrunde durch den Wald geht sich gerade so aus, dass auch noch der Winter besprochen werden kann, bevor Haus und Atelier wieder erreicht sind. Margit Russnig kann auch der kalten Jahreszeit eine wichtige Rolle zuerkennen. Im Winter genießt sie schließlich nach einer intensiven Arbeitsphase im Herbst, in der sie sich meist auf Ausstellungen vorbereitet, den Rückzug und „das Zumachen“.
So wie auch die Natur, brauche sie die Zeit, um sich auszuruhen und ihre Kräfte aufzutanken. In der Zwischenzeit ist die lange Stiege, die zu Margits Haus steil bergab führt, erreicht. Große Schritte sind notwendig, mühelos nimmt Margit Stufe um Stufe – ein vertrautes jahrelanges Ritual des Nachhausekommens. Im Winter ist es das Eis, auf das die ganze Familie besonderes Augenmerk hält. Die Beobachtung, wie sich der Teich verhält, ist wichtig: Hat es gefroren? Hat der Teich eine Eisschicht? Wie dick ist das Eis?
Ein schönes Bild: der tröstliche Wald und seine unendliche Geduld mit uns Menschen.
Nah am Wald gebaut
Wien ist weltweit die grünste Stadt, Wien ist weltweit die lebenswerteste Stadt – keine Superlativen der Werbebranche, sondern Auszeichnungen, die sich die Metropole verdient hat. Wien ist buchstäblich umwachsen von Natur und Naherholungsgebieten. Das macht es für die Menschen leicht, schnell mal ins Grüne abzutauchen, ohne lange Anreise in Kauf zu nehmen: das weitläufige Gebiet des Lainzer Tiergartens im Westen, die Donauinsel, die Lobau und der angrenzende Nationalpark Donau-Auen im Osten, die Weinberge im Norden.
Grün am Stadtrand:
Autorin: Ulli Cecerle-Uitz